Es fühlt sich an, als hätten wir nichts dazugelernt. Die nächste Welle, das nächste Drama. Schnell werden den Regierenden Vorwürfe gemacht. Warum handeln sie nicht konsequenter? Warum wiederholen sich die Fehler? Und dann handeln sie, oft undifferenziert, mit Massnahmen nach Giesskannenprinzip.
Mittwoch, 1. Dezember 2021
Fragen, die zu lang unbeantwortet bleiben
Montag, 2. August 2021
Niedrigschwellig eine Entscheidung über Infektion versus Impfung treffen?
Ich bin geimpft. Ich denke, das sollte der Leser des folgenden Beitrags wissen. Mir geht es auch nicht um das pro und contra von Covid-19-Impfung. Mir geht es darum, dass mündige Menschen bewusste Entscheidungen treffen.
Sonntag, 16. Mai 2021
Impfen ja oder nein?
Der blanke Wahnsinn zuweilen, wie Menschen in zumindest meinem Umfeld die Entscheidung fällen, sich impfen zu lassen oder nicht. Die Entscheidung ist leider Sinnbild der oft schwer dysfunktionalen Debatten, die seit 15 Monaten zur Pandemie laufen.
Wer immer noch glaubt, Covid-19 sei insgesamt harmlos, der hat einen Schuss an der Waffel. Keine Toleranz für eine solche Meinung nach all dem, was wir mittlerweile wissen. Ein Blick auf die Bilder aus Indien mag den Verirrten hier helfen.
Aber, Fakt ist auch: Wir impfen gerade weite Teile der Bevölkerung mit einem nicht wie üblich getesteten Impfstoff. Ist man über 70, ist Covid-19 brandgefährlich. Die Todesfälle liegen im Prozentbereich. Rein mit dem Ding in den Arm, subito und ohne Wenn und Aber. Der Fall ist klar.
Bei den unter 70jährigen ist es aber komplizierter. Man schaue sich nur die Werte für die Schweiz an. Ich habe dabei aus den offiziellen Zahlen zwei Risiken errechnet bzw. abgeleitet:
1. das Risiko auf Basis der entdeckten Infizierten ohne Dunkelziffer, und
2. das Risiko inklusive einer Dunkelziffer, hier mit einem Faktor 3 angesetzt (auf einen entdeckten Infizierten kommen zwei unentdeckte Infizierte, vermutlich liegt die Dunkelziffer eher höher).
Nun zählen sich manche unter 70 zu einer Risikogruppe. Wer dabei auf einmal alles ein Risiko für sich empfindet, ist beachtlich. Aber natürlich, das kann ja durchaus sein. Die offiziellen Zahlen in der obigen Tabelle für Infizierte, Hospitalisierte und Tote aber sind inklusive Risikogruppen. Dieses Risiko ist also «mit dabei», man muss nicht hinzuaddieren.
Es sind bei den unter 50jährigen also gerade einmal 51 Personen an oder mit Covid-19 verstorben – dies wohlgemerkt inklusive Risikogruppen. Verständlich, wenn sich da jemand im Alter unter 50 fragt, ob er sich da jetzt schon zur Impfung anstellt oder lieber noch etwas abwarten will. Eines ist dann aber auch klar: lässt man sich nicht impfen, wird man über kurz oder lang mit Covid-19 infiziert. Das Risiko muss man bereit sein zu tragen. Jeder kann es sich für sein Alter errechnen. Für die Altersgruppen 0-50 sowie 50-70 befinden sich die Werte in der obigen Tabelle.
Wer sich für die Impfung entscheidet, muss wissen, dass er auf gewisse Weise eine Wette eingeht. Und dabei kann man nicht ignorieren, dass auch Arzneimittel ihre Gefahren mit sich bringen. Manchmal beleuchten wir sie zu spät, wie z.B. 2009 beim Impfstoff «Pandemrix» gegen die Schweinegrippe. Die Ereignisse rund um diesen Impfstoff hat der Spiegel 2018 in einem Beitrag mit dem Titel «Hersteller von Schweinegrippe-Impfstoff ignorierte Risiken» beschrieben.
Solcherlei Vorfälle sind keine Rechtfertigung für absurde Verschwörungstheorien, stellen sie doch die krasse Ausnahme dar. Und Impfungen insgesamt haben diese Welt eindeutig zu einem besseren, sichereren Ort gemacht. Aber wir sollten bescheiden sein und anerkennen, dass wir über die Langzeitfolgen einer Covid-19-Impfung noch nichts wissen können – ganz einfach weil die lange Zeit noch nicht war. Schaut man wiederum in die Vergangenheit, dann scheinen solche Risiken bei Impfstoffen eher gering zu sein. Und selbst beim Vorfall mit «Pandemrix» wurden gerade einmal 75,8 schwere Nebenwirkungen pro eine Millionen Geimpfte gemeldet. Das ist verschwindend gering mit ca. 0,008%. Aber auch hier wieder: höher scheint das Risiko eines fatalen Verlaufs durch eine Infektion mit Covid-19 für unter 50jährige auch nicht zu liegen.
Ist man unter 70, insbesondere aber unter 50, ist es wohl die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber jeweils sehr geringen Risiken.
Eines sei aber klar gesagt: Eine Entscheidung pro Impfung für Kinder und Jugendliche zu treffen auf Basis der heutigen Erkenntnisse, erscheint äusserst bedenklich. Warum sollte man junge Menschen einem Impfstoff aussetzen, bevor dieser – wie sonst üblicher Standard – ein paar Jahre analysiert wurde und damit auch bzgl. seiner Langzeitfolgen verstanden ist? Gute Gründe sind schwer zu finden. Das muss im Übrigen nicht heissen, dass die Einschränkungen weiter bestehen bleiben. Sobald die Bevölkerung, die will, geimpft ist, können Kinder und Jugendliche auch ungeimpft alle Freiheiten wiedererhalten. Was sollte dagegen sprechen?
Wir sollten dann lieber anderswo in der Welt impfen. Denn wirklich in den Griff bekommen wir diese Pandemie nur, wenn ein rechter Teil der Weltbevölkerung geimpft ist. Das Virus kennt keine nationalen Grenzen. Die Welt impfen, das wird Jahre dauern – Jahre, die wir bzgl. Impfung eher Besorgten, vor allem aber Kindern und Jugendlichen geben können, und dies ohne dass sie Einschränkungen erfahren, die wie ein Impfzwang durch die Hintertür wirken könnten. Wir würden es uns im Übrigen als Gesellschaft nicht verzeihen können, wenn der vielleicht unwahrscheinliche, aber mögliche Fall von Langzeitfolgen der Impfung eintritt – und wir hätten junge Menschen mit dem Leben vor sich unnötig diesem Risiko ausgesetzt.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich der Autor (in den 50ern) hat impfen lassen. Aber er traf diese Entscheidung für sich, in eigener Verantwortung und im Bewusstsein, dass er hier besagte Wette eingeht. Es ist keinesfalls offensichtlich, dieses oder jenes zu tun. Wichtig ist einfach, dass man eine bewusste Entscheidung trifft und dies nicht aus bizarren Gründen oder einer diffusen Angst heraus, sondern im Wissen um die Pros und Contras. Und wir sollten einander respektieren, Geimpfte und solche, die es nicht wollen. Wir sollten allen sukzessive ihre Freiheiten zurückgeben.
Mittwoch, 3. März 2021
NEUSEELAND oder SCHWEDEN - dazwischen ist MIST
Ein Jahr leben wir nun mit COVID-19 in unseren Breitengraden. Die öffentliche Diskussion wird ruppiger, die Ungeduld nimmt zu, mehr und mehr Schuldzuweisungen. Aber müssen wir uns als Volk nicht an die eigene Nase packen? Wissen wir eigentlich, was wir wollen?
Stand heute gibt es zwei Modelle, die in sich Sinn zu machen scheinen, also in sich logisch sind:
Das neuseeländische Modell
Neuseeland fährt eine echte Zero-Covid-19-Strategie. Ein Infizierter in Auckland. Gleich wird alles dicht gemacht. Harter Lockdown. Der eine Infizierte reicht.
Kann man so machen. Wenn man es so macht, hat man besser seine Grenzen komplett dicht und eine End-Game-Strategie. Denn das Virus verschwindet ja nicht. Alle Anstrengung wäre für die Katz gewesen, wenn man einfach nur später all die Opfer einer Durchinfektion zu beklagen hätte, aber dann eben doch.
Die einzig sinnvolle End-Game-Strategie kann also nur heissen: man wartet auf medizinische Lösungen. Soll es ein Impfprogramm sein, müssten nahezu alle mitmachen. Besser wären Arzneimittel zur Behandlung im Falle einer Erkrankung. Das kann Jahre dauern. Neuseeland als Strategie müsste man also lang in dieser Schärfe durchhalten.
Der schwedische Weg
Verfolgt man diese Option, dann sieht man zu Beginn ein, dass man keine Chance hat, das Virus aus dem Land zu halten. Man kann das Leiden nur verlängern. In einem gewissen Masse muss es auch verlängert werden, um die Kapazitäten der Krankenhäuser nicht überzustrapazieren. Dafür reichen aber überschaubare Massnahmen. Das gesellschaftliche Leben geht mehr oder weniger normal weiter. AHA-Regeln natürlich, keine Massenveranstaltungen mit Superspread-Potenzial. Aber offene Kitas, Schulen, Restaurants, Zoos. Testen, wenn jemand aus dem Ausland kommt. Testen überhaupt, wo immer möglich.
Nicht alles davon macht Schweden perfekt, aber für diesen Pandemie-Marathon hat Schweden schon am ehesten den Weg gefunden, der am besten durchhaltbsr ist. Die Restaurants schliessen um 20:30 Uhr, da geht's aber eher um das Verhindern von Trinkgelagen. Vor 20:30 Uhr sind sie uneingeschränkt offen.
Bieten wir als Volk der Exekutive denn nun die Möglichkeit, eine solch klare Strategie wie in Neuseeland oder Schweden zu formulieren? Würde die Strategie „Neuseeland“ gewählt, schreien die einen auf. „Seid Ihr verrückt, wegen einem Infizierten alles zu schliessen“ hiesse es. „Das funktioniert doch sowieso nicht, wir können die Grenzen nicht so abschotten wie das abgelegene Neuseeland ohne Landgrenze“ gäben die anderen zu bedenken. Bei den Gerichten würde bzgl. einstweiliger Massnahmen vorgesprochen.
Und beim schwedischen Weg? „Ihr lasst einfach tausende sterben, nur damit der Laden weiter läuft, wie brutal!“ würde von Vielen mit mahnendem moralischen Zeigefinger postuliert. „Ist das alles, was Ihr tun wollt?“ wäre die fordernde Frage hintendran. Die Schweiz hat es eine Weile versucht, einen ähnlichen Weg wie Schweden zu gehen. Der Druck von innen und aussen wurde immer grösser.
Wie man es auch macht, einen Grossteil der Bevölkerung hat man gegen sich. Nun könnte jemand anmahnen, dass es dann eben wahre Führung braucht. Führen gegen Urängste ist allerdings fast unmöglich. Also geht Schweden nicht. Und Neuseeland könnte man probieren, aber grob auf die Nase fallen, wenn z.B. die Verhältnismässigkeit von den Gerichten angemahnt und Massnahmen ausser Kraft gesetzt werden. Auch die Grenzen mögen sich als sehr porös erweisen.
Und so kommt in fast allen westlichen Nationen ein Mischmasch heraus, das uns enorme Opferzahlen beschert – einfach in Zeitlupe. Fast 10'000 Tote in der Schweiz, über 70'000 Tote nun in Deutschland. Und zugleich all die Einschränkungen. Das macht mürbe. Mit immer wieder neuen Ideen für Detailmassnahmen, seien sie noch so aberwitzig, versucht man, Entschlossenheit zu zeigen. Das gelingt aber mit der Zeit immer weniger. Die Beruhigungspillen wirken nicht mehr. Und am eigentlichen Verlauf der Pandemie ändert es nur die Geschwindigkeit. Sie schreitet dennoch weiter voran und durchseucht uns zu einem hohen Grad.
Das Modell "Neuseeland" sollte man nicht zu schnell als "nicht machbar" abtun. Wenn es einmal ein wahrhaftes Killer-Virus geben sollte – so infektiös wie Covid-19 und so tödlich wie Ebola –, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig als Neuseeland. Was sollte die Alternative sein? Weil Länder wie Neuseeland und Australien aufgrund ihrer Nähe zu Asien schon so manche ähnliche Situation erlebt haben, ist das Volk dort eher bereit, drastisch vorzugehen. Vielleicht hilft uns die Erfahrung mit Covid-19, es beim nächsten Mal auch zu sein. Es würde unser Leben aber schwer auf den Kopf stellen. Keine Import-Gurken mehr. Keine Besuche von Freunden und Verwandten im Ausland. Kein internationales Reisen. Alle Grenzen dicht, über Monate, wenn nicht Jahre. Es ist fast unvorstellbar, dass es funktioniert – im Falle eines Killervirus aber zwingend. Die Probe auf's Exempel bleibt uns hoffentlich erspart.
Covid-19 fordert hohe Opferzahlen, ist aber glücklicherweise kein Killervirus. Und so dürfen und müssen wir uns im Rückblick fragen, welche Massnahmen wirklich effektiv waren und welche eher nicht. Vergleicht man hier die Performance von Schweden mit der anderer europäischer Länder, fährt Schweden nicht so schlecht. Man liegt im Mittelfeld und würde wohl noch besser liegen, wenn die ungewöhnlich grossen Ausbrüche in Altersheimen zu Beginn der Pandemie hätten vermieden werden können. Da wurde man in Schweden auf dem falschen Fuss erwischt.
Donnerstag, 25. Februar 2021
ELEFANTEN IM RAUM
Zeit für Pandemie 2.0
Niemand macht das mit niederen Motiven. Verschwörungstheoretiker, die dieser Tage ihr Unwesen treiben, versuchen zu suggerieren, dass da in Hinterzimmern irgendwelche Strippenzieher sitzen, die zu ihrem Vorteil das Volk seiner Freiheitsrechte berauben. Ein fertiger Quatsch.
Aber es gibt ein anderes Motiv, nicht für mehr Transparenz zu sorgen - und das eint die politische Kaste rund um die Welt: es ist das eigene Überleben. Ein Fehler in der Pandemiebekämpfung kann die Karriere kosten. Die Bevölkerung im Umgewissen zu halten, verschafft da Vorteile. Das Argumentieren und Handeln ist viel einfacher. Man weiss ja nicht…. Klingt plausibel und entschuldigt jeden Schritt. Denn wir wissen nicht.
Insgesamt mussten sich die handelnden Personen aber bisher nicht ernsthaft Sorgen machen um ausreichend Unterstützung in der Bevölkerung. Was dabei hilft, ist, dass für ca. 85 % aller Bürger das Leben wirtschaftlich mehr oder weniger normal weitergeht. Für die anderen 15 % (Reisebranche, Gastronomie, Kulturschaffende, etc.) bedeuten die Massnahmen wiederum oft der wirtschaftliche Totalausfall. Aber es sind eben nur 15 % und so kann sich die Politik einer grossen Mehrheit sicher sein.
Das Argumentieren mit gezielten Nebelwolken hat aber auch seinen Preis. Kommen Zweifel auf – und über die Zeit ist das unausweichlich – geht Vertrauen verloren.
Es gibt sie immer wieder, diese kuriosen Momente. Argumentationen, die einfach nicht stimmig sind (z.B. die Urlaubsrückkehrer-Mär). Das selektive Zitieren von Wissenschaftlern (Drosten gern, Streeck weniger). Anekdotische Geschichten über wilde Krankheitsverläufe, deren Relevanz dann aber empirisch nicht belegt wird. Oder auch die Präsentation von Statistiken, die der Laie ohne entsprechenden Warnhinweis falsch verstehen muss.
Der mit Abstand grösste Elefant ist wohl das irreführende Kaffeesatzlesen in Inzidenzen. Der Genauigkeitsanspruch, der mit Grenzwerten von 35 oder 50 postuliert wird, lässt sich überhaupt nicht erreichen. Denn was ist die Aussagekraft der errechneten Inzidenzen, wenn auf jeden gefundenen Infizierten fast ein Dutzend nicht entdeckt werden?
Die Werte mögen im Rückblick schon nochmals etwas zu korrigieren sein. Aber das ist, was wir haben, und es ist recht konsistent. Nicht unwahrscheinlich, dass man in dieser Region die Wahrheit findet.
Zu erwähnen ist dabei, dass die Bandbreite der Todesrate, die die WHO in ihrer Metastudie nennt, schwankt und bis auf 1.63% geht. Wenn das Gesundheitssystem nicht gut ist, wenn die Leute aufgrund schlechter Krankenversicherung nicht zum Arzt gehen, bis es zu spät ist, dann steigt die Todesrate natürlich. Wir dürfen aber für die Schweiz und für Deutschland hoffentlich davon ausgehen, dass wir mit unserer Gesundheitsversorgung mindestens den Durchschnittswert, also die 0.27%, erreichen.
Was bedeutet das nun für die Infiziertenzahlen? Nun, man stellt fest, dass es zwischen den gemeldeten Zahlen und den tatsächlich Infizierten vermutlich einen enormen Unterschied gibt:
Schweiz
Offiziell gemeldete Infizierte gemäss BAG: 0,55 Mio.
Abgeleitete Infiziertenzahl: 3,4 Mio. (= 100%, wenn 9’190 Todesfälle 0.27% sind)
- Quelle RKI-Zahlen (D): https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Kum_Tab.html
Ob die Gesamtzahl der Infizierten inkl. Dunkelziffer
Unsere offiziell gemeldeten Zahlen liegen vermutlich fernab jeder Realität. Schaut man sich in seinem Umfeld um, wird das schnell plausibel. Wie wenige lassen sich testen, die es tun sollten? Und manchmal will man selbst, es wird aber abgeraten. Unsere einjährige Tochter, fleissige Kitagängerin, hatte jüngst eine Grippe samt Schnupfen, Durchfall, das ganze Programm – typische COVID-19 Symptome. Getestet wurde aber nicht. Man mache das nur, wenn ein konkreter Verdacht bestünde, hiess es, z.B. bei einer direkten Begegnung mit einem anderen Infizierten. Lässt man solche Testsituationen aus, muss man sich über eine grosse Dunkelziffer nicht wirklich wundern.
Läge die Zahl der Infizierten nun eher bei über 3 Mio. für die Schweiz bzw. über 24 Mio. für Deutschland – und damit bereits einem rechten Teil der Gesamtbevölkerung –, hätte das weitreichende Konsequenzen:
Inzidenzlesen ade
Wie können wir versuchen, Massnahmen auf Basis von Inzidenzwerten zu beschliessen, wenn wir den Löwenanteil der Infizierten gar nicht entdecken? Zu einem gewissen Grad mögen die Werte ja korrelieren (tatsächlich Infizierte vs. gemeldete). Aber bei einer solch grossen Dunkelziffer kann doch niemand seriös Trends ablesen oder sagen, bei 50 wäre die Nachverfolgbarkeit gesichert (wenn gleichzeitig 500 irgendwo herumlaufen, die nicht entdeckt werden).
Wir sind eventuell schon nahe am Peak
Wenn die Infektionszahlen jüngst etwas zurückgegangen sind und nun auf einem Plateau verharren, kann es auch sein, dass wir bereits nahe dem Peak der Gauss-Kurve sind. Das würde die Perspektive auf die weitere Ausbreitung verändern. Denn das exponentielle Wachstum findet ja nicht bis zum letzten Infizierten statt, sondern nur in der ersten Zeit. Irgendwann kehrt sich die Dynamik ins Gegenteil um. Es wird immer schwieriger für das Virus, einen neuen Wirt zu finden. Und vermutlich wurden zunächst die Umtriebigsten angesteckt. Es könnte gut sein, dass ein wesentlicher Grund für die aktuell geringeren Zahlen schlicht darin zu finden ist, dass schon ein rechter Teil der Gesamtbevölkerung «durchinfiziert» ist.
Das Killer-Virus ist Covid-19 nicht
Covid-19 ist gefährlich, aber doch weit weniger, als Verhältniszahlen aus offiziell gemeldeten Infizierten vs.Toten suggerieren. Auch hier möchte ich Niemandem unterstellen, dass man diese Werte absichtlich ins Verhältnis setzt – und damit, indem man die Dunkelziffer ausser Acht lässt, enorme Todesraten erhält. Aber es ist zumindest schwer dilettantisch. Und es schürt Ängste, die so für alle Altersgruppen nicht gerechtfertigt sind.
Nun impfen wir die ältere Bevölkerung und sind damit in Bälde durch. Spätestens dann ist Zeit für Pandemie 2.0. In Israel bekommen wir einen Vorgeschmack darauf, was dann passiert. Die Inzidenz mag immer noch sehr hoch sein (weil die Jüngeren sich weiter gegenseitig infizieren), was aber nicht so tragisch ist, wenn die Krankhäuser sich leeren und die schweren Verläufe massiv abnehmen. Und genau dieser Trend nimmt in Israel, wo die ältere Bevölkerung quasi komplett geimpft ist, gerade seinen Lauf.
Sonntag, 3. Januar 2021
Transparenz im Covid-19-Informationsdschungel
Es kursiert so viel Schrott im Internet über Covid-19 – verquere Flachdenker, die man mal mit in eine Intensivstation zu den um Atem ringenden Patienten nehmen sollte, bis wiederum am anderen Ende des Spektrums Schreckensverbreiter, die mit der Angst der Bevölkerung spielen.
Klar ist: Covid-19 ist aussergewöhnlich gefährlich
Richtig ist aber auch: Aussergewöhnlich gefährlich für über 70-jährige
Die Impfung ist eine Altersfrage
Manchmal wird eine Impfung aber in der Hast entwickelt, wie seinerzeit bei der Schweinegrippe. Die Folge: In Schweden, wo dagegen geimpft wurde, gab es im Nachgang zur Schweinegrippe-Impfung ca. 500 Fälle von Narkolepsie, einer Art Schlafkrankheit, vornehmlich ausgebrochen unter jungen Leuten.
Ich erwähne das nicht, um von einer Covid-19-Impfung abzuraten – keinesfalls! Aber wir sollten uns in mehr wissenschaftlicher Bescheidenheit üben. Es gibt bei den in wenigen Monaten entwickelten Impfungen zu Covid-19 ein prinzipielles Restrisiko, da wir die langfristigen Folgen noch nicht verstehen können. „Langfrist“ braucht nun mal eine lange Frist. Die Zeit haben wir aber nicht. Und so bleibt eine ganz simple Risikoabwägung – Risiko Covid-19 gegen Risiko Impfung.
Wer über 70 ist, hat meines Erachtens keine Wahl. Die Zahlen geben es klar her: Impfen jetzt ist das einzig Richtige. Das Risiko aus Covid-19 ist zu gross.
Aber sollte man einer 20jährigen raten, sich impfen zu lassen? Die vorliegenden Zahlen suggerieren das nicht so eindeutig.
Im Moment ist nicht einmal gesagt, dass die Impfung auch verhindert, dass man andere ansteckt. Womöglich schützt sie nur den Geimpften. Aber selbst wenn die Ansteckung auch unterbunden würde, für wen ist man als Ungeimpfter eine Gefahr? Doch nur für Menschen, die sich aus irgendeinem Grund gegen die Impfung entschieden haben. Warum wird also ein moralischer Imperativ "pro Impfung" aufgebaut? Wir könnten doch miteinander koexistieren, die Geimpften und Ungeimpften. Die Geimpften hätten – da ja geimpft – von den Ungeimpften nichts zu befürchten.
Niemand sollte sich darum gezwungen fühlen zur Impfung. Das gebietet auch einfach die wissenschaftliche Bescheidenheit. Wenn dann doch das Unwahrscheinliche eintritt und es eine unerwünschte langfristige Nebenwirkung gibt, wäre es doch dramatisch, wenn wir Heerscharen junger Menschen völlig unnötig zur Impfung gedrängt hätten. Es muss ein freiwilliger Entscheid bleiben.
Die Lage sollte sich deutlich bessern, wenn die über 70jährigen geimpft sind.
Nehmen wir mal positiv an, die über 70jährigen sind bald geimpft (soweit sie dies wollen, und sie sollten es wollen). Wir werden weiterhin Erkrankte und auch Todesfälle verzeichnen, aber vermutlich vergleichbar mit anderen Risiken des Lebens, denen wir uns aussetzen. Und wir werden nicht mehr an Lockdowns, etc. denken.
Es dauert aber noch eine Weile, bis die besonders Gefährdeten geimpft sind. Und da muss man leider feststellen:
Wir leben derzeit mit einer gigantischen Covid-19-Dunkelziffer
Wir müssen aber klar erkennen: Zu glauben, man könne das Virus in den Griff bekommen, wenn man die Inzidenz unter 50, 25 oder 10 von 100,000 bekommt, ist aberwitzig. Wenn 8 von 10 Personen gar nicht merken, dass sie COVID-19 haben, dann ist die Rückverfolgbarkeit ein schwieriges Ziel. Diese 8 melden sich ja nirgendwo und nichts wird rückverfolgt. Das einzig mögliche Ziel ist Null. Sonst sucht sich (und findet) das Virus seinen Weg.
Wie kommt man da hin?
(Der ungerechte Ruf nach einer) Langzeitstrategie
Best Practice unter den freiheitlichen Demokratien sind wohl Neuseeland und Australien. Beide Länder haben Covid-19 derzeit im Griff. Dort wird aber nicht von 50 pro 100'000 gesprochen. Würde man nie akzeptieren. In Neuseeland und Australien wird gehandelt, wenn nur ein einziger Infizierter entdeckt wird.
Vermutlich ist das die einzig zielführende Strategie. Null Toleranz, von Anfang an.
Ich bin mir sicher, das wir das beim nächsten Mal so machen. Ob es uns gelingt (inwieweit z.B. die Insellage von Neuseeland und Australien es leichter macht = deren Fehlen für uns schwerer), wird zu sehen sein. Aber klar ist: das, was wir derzeit tun, zermürbt und führt nicht mal wirklich zu einer deutlichen Besserung.
Mit der Erfahrung von Covid-19 sind wir vermutlich beim nächsten Mal bereit dazu, drastische Massnahmen gleich zu Beginn zu akzeptieren. Aber wir müssen fair bleiben. Wer hätte das im Februar 2020 akzeptiert? Ganze Regionen dichtmachen, inklusive Büros, Schulen, Kitas, etc. – das wäre doch niemals akzeptiert worden. Wir sind jetzt schlauer.
Jetzt hilft nur noch ein Lockdown hard - oder wir akzeptieren die Entwicklung
Immerhin, die verlängerten Weihnachtsferien könnten eine Verschnaufpause bringen. Manche sahen Weihnachten ja als Risiko. Ich glaube aber, das Gegenteil ist der Fall. Den Verwandtschaftsbesuchen steht ein viel grösser, positiver Effekt gegenüber, der der geschlossenen Kitas und Schulen, der Abwesenheiten vom Büro, beides verbunden mit viel weniger Benutzung vom ÖV. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Zahlen nach Weihnachten temporär sinken, nur um dann aber, sobald das Leben wieder losgeht, wieder Fahrt aufzunehmen.
Man kann natürlich auch zum Schluss kommen, dass eine Strategie, wie Neuseeland oder Australien sie fahren, hierzulande nicht funktioniert. Wir sind nun mal keine Insel, eingebettet in ein Europa mit (allein schon für den Warenverkehr) zwingend durchlässigen Grenzen. Ich glaube dennoch, wir müssen einen Game Plan für den Lockdown hard zumindest fix und fertig in der Schublade haben. Denn das nächste Virus könnte deutlich gefährlicher sein. So ansteckend wie Covid-19 und so tödlich wie Ebola (30-90%, je nach Stamm) - wir haben unser Handeln besser gut vorbereitet. Mag zynisch klingen, aber in dem Sinne wäre Covid-19 zumindest ein heilsamer Augenöffer gewesen. Wir haben da nachzubessern, für den Fall der Fälle.
Im Fazit...
...und zuletzt in eigener Sache
Ich fragte mich immer wieder, wie es sein kann, dass so viel Intransparenz bestehen bleibt, wenn doch einige relevante Daten offiziell vorliegen.
Mein Selbstbewusstsein, über Covid-19 zu schreiben, hat aber über die Zeit merklich zugenommen. Wenn ich sehe, dass ich im April 2020 aus den offiziellen Zahlen zum Ausbruch in New York City eine Letalität von um die 0,28% errechnet habe (wo manche Zeitungen ganz komische Wert von 5, 10 und mehr Prozent publizierten), wenn die Heinsberg-Studie 0,37% ermittelte, die WHO in ihrer Metastudie später 0,27% veröffentlicht, dann lag ich offenbar nicht so falsch. Wenn ich im Oktober 2020 prognostizierte, dass der Wellenbrecher-Lockdown in Deutschland nichts bringen wird, weil man Kitas, Schulen, Büros und den ÖV (leider!) nicht auslassen kann – auch dies auf Basis von offiziellen Daten, diesmal über Infektionsherde –, dann komme ich zum Schluss, dass man klarer sehen kann, wenn man will. Ich habe nachgeschaut und gerechnet, klassischer Dreisatz – sonst nichts.
Warum fällt dies aber vielen Meinungsmachern so schwer? Schlamperei? Ich bin kein kategorischer Medienkritiker, ganz im Gegenteil. Die vierte Gewalt ist ein essentieller Bestandteil unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaften. Aber in Sachen Covid-19 gibt es offenbar zu heisse Eisen. Wie oft wurde über die Ergebnisse der WHO-Metastudie geschrieben, wie oft darauf hingewiesen, dass man nicht die getesteten, bekannten Infizierten (die ja nur ein Bruchteil aller Infizierten sind) ins Verhältnis zu den Todesfällen setzen kann? Wie oft wurde darauf hingewiesen, dass die Dunkelziffer gigantisch sein muss? Wie oft hat man die enorm unterschiedliche Gefahr von Covid-19 je nach Alter erwähnt? Wie genau hat man hingeschaut, um Infektionsherde zu verstehen? Man wird hier über die Bücher gehen müssen. Das war keine saubere Berichterstattung. Es wurde zu oft unzureichend und irreführend informiert.
Covid-19 ist aber ein zu ernstes Thema, als dass wir im Nebel stochern sollten Es braucht mehr Transparenz. Und mehr Transparenz ist offensichtlich möglich.
Rechtliches
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