Samstag, 25. September 2010

Und ab geht die Post...

Der Schweizer Nationalrat diskutiert die Zukunft der Post. Schön zu lesen, dass viele schon einmal wissen, was sie nicht wollen. Keine Aufhebung des Monopols für Briefe unter 50g, keine Schliessung von Poststellen. Und dann die proklamative Aussage, dass auch in Zukunft die Post Briefe und Pakete in allen ganzjährig bewohnten Siedlungen bis ans Haus bringen soll.
Erstaunlich, wie defensiv hier gedacht wird. Dabei liesse sich wahrscheinlich mit einer einzigen Massnahme die Daseinsberechtigung der Post manifestieren für eine lange Zukunft:

Das Austragen der Sendungen wird auf die Zeit von 4-6h morgens vorverlegt.

Ich bin überzeugt, die Post könnte sich vor zusätzlichen Verteilaufträgen nicht mehr retten und müsste solcherlei Debatten, wie man sie zuletzt im Nationalrat hört, gar nicht führen. Käme der Postbote vor 6h morgens, bräuchte keine Tageszeitung mehr ihre eigene Verteilung zu unterhalten. Die Zeitung käme einfach mit der regulären Post.
Auch der angestammte reguläre Brief- und Paketservice der Post würde an Attraktivität deutlich gewinnen, gäbe es die Möglichkeit (ohne enorm teure Zuschläge), Post übernacht so zu senden, dass sie vor 6h morgens beim Empfänger ist, dieser sie also erhält, bevor er das Haus verlässt. Dass das nicht für jede Sendung von einem Winkel der Schweiz bis zum anderen funktioniert, mag durchaus sein. Es gäbe noch immer viele Sendungen innerhalb der Regionen, die bei einem echten Übernachtservice wieder Sinn machen würden.
Man könnte sogar über einen spannenden Zusatzdienst der Post nachdenken, der heute eher leidlich funktioniert: Die Zustellung von online gekauften Lebensmitteln. Würden diese morgens vor 6h angeliefert, wäre der Lebensmittelkauf per Internet und die Lieferung per Post für viele machbar, für die er es heute nicht ist. Noch attraktiver wäre er, wenn der Postbote nicht nur eine Box mit Lebensmitteln bringt, sondern auch eine andere mit Recyling-Gut wieder mitnimmt. Ein äusserst effizientes und umweltfreundliches System, welches perfektioniert würde durch die Einführung grösserer, standardisierter Milchkästen, in der die Box deponiert werden kann.
Statt beim Gedanken an die Liberalisierung der Post derart zu verkrampfen wie in den aktuellen Debatten, statt umgekehrt wiederum wie im letzten Jahr über wilde Internationalisierungsstrategien für die Post nachzudenken, die einer Swissair schon das Genick brachen, sollte man doch versuchen, der Post eine Zukunft zu bescheren auf Basis dessen, was sie gut kann: Verteilen. Mit nur ein wenig Flexibilität wäre es möglich, die Post so aufzustellen, dass sie ohne Stützräder (= künstlicher staatlicher Schutz, am Ende Subventionen) auskommen könnte. Man sollte sich vergegenwärtigen, was für ein grosses Pfund man mit der heutigen Post in der Hand hält: Die komplette logistische Abdeckung der gesamten Bevölkerung. Das ist gerade im Zeitalter des Internets enorm viel wert! Allein, es muss zu einer attraktiven Zeit verteilt werden. Und idealerweise wird ein standardisiertes Gross-Milchkastensystem wie oben angedeutet konzipiert. Nicht zuletzt die Umwelt würde es uns danken.
Ob es Briefe sind, der Berner Bund, Brot und Butter, die Post wäre der nationale Feinverteiler. Es ist doch völlig egal, was ausgeliefert wird. Sich am Briefmonopol zu klammern ist wie sich am Masten der Titanic festzuhalten. Früher oder später geht sie unter. Man kann das Ende nur verlangsamen. Aber die Feinverteilung, die flächendeckende Logistik ist aktueller denn je. Und wenn man nur lang genug nachdenkt, dann fallen einem wahrscheinlich noch weitere Güter ein, die über diesen Weg auch verteilt werden könnten.
Natürlich, wenn der Umfang der ausgelieferten Waren ansteigt, dann deckt ein "Postbote" deutlich weniger Adressen ab als heute. Aber das spielt keine Rolle. Geliefert werden die Waren so oder so. Es würde sich immer rechnen, die der Warenlieferung zugrundeliegende logistische Leistung auf weniger Verteiler zu konzentrieren, als für jedes Gut einen eigenen Versand zu unterhalten. Man schaue sich den heutigen Irrsinn an: Die Zeitung kommt frühmorgens per speziellem Verteiler, der Postbote klappt all die Adressen wenige Stunden später wieder ab und bringt die Briefpost, und die online georderten Lebensmittel trudeln irgendwann am Tag per separater Lieferung ein (auf die man im übrigen über Stunden zuhause warten muss). Eine grandiose Ineffizienz mit einer sicherlich nicht sehr schönen Ökobilanz.
Wir tun uns manchmal schwer als bequeme westliche Gesellschaft, klar erkennbare Entwicklungen in etablierten Systemen - wie die Post eines ist - zu berücksichtigen. Es ist schon lang nicht mehr so, dass der Mann morgens das Haus verlässt, seine Frau aber den ganzen Tag zuhause ist (um Lieferungen entgegenzunehmen). Auch taktet die Welt immer schneller und es reicht häufig einfach nicht mehr, etwas um 11h morgens erst zu bekommen. Dazu werden wir immer umweltbewusster und müssen uns fragen, wie wir die gefahrenen Strecken in der Logistikwelt (da kommt einiges zusammen) minimieren können.
Eine Schlüsselrolle kommt den Gewerkschaften zu. Wenn sie, wie leider so oft, ihre Rolle falsch verstehen und die Trends der Zeit nicht erkennt, könnten sie natürlich zur Innovationsbremse werden. Wahrscheinlich würde dann in solchen Kreisen diskutiert, ob es denn wirklich zumutbar für diesen "Postboten der neuen Art" ist, so früh morgens zu arbeiten. Eine völlig überflüssige Diskussion, wie ich finde. Bei den enormen Effizienzen, die dieses System erzeugen würde, könnte man die neuen Postboten sehr attraktiv kompensieren. Ich bin überzeugt, man würde genug Arbeitskräfte dafür gewinnen, insbesondere auch solche, die tagsüber gern anderen Dingen nachgehen oder einfach das Leben bei scheinender Sonne mit Freizeit geniessen wollen.
Bleibt zu hoffen, dass man bei der Post und in der sie bemutternden Politik die grosse Chance erkennt und das enorme Kapital richtig einsetzt, das man mit dem landesweiten Verteilnetz hat. Die Ressourcen sollten nicht in den Erhalt von Strukturen, die sich langfristig sowieso nicht bewahren lassen, gehen, sondern in den Aufbau einer flächendeckenden, nationale Feinverteilung von Gütern verschiedenster Art zwischen 4-6h morgens. Das wäre wahrhaft innovativ! Und wir alle dürften uns über die grosse Zukunft der "Post 2.0" freuen.

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