Sonntag, 24. September 2017

Was ist gerecht?

Deutschland bemüht sich heute, eine neue Regierung zu wählen. Der Wahlkampf war stark geprägt von Gerechtigkeitsthemen. Die gute Nachricht: Sie können diesbezüglich eigentlich kaum was falsch machen. Die einen sind dafür verantwortlich, dass der Kuchen zum Verteilen grösser wird. Wählen Sie FDP? Dann haben Sie einen guten Beitrag dazu geleistet. Die anderen haben zu schauen, dass der Kuchen gerecht verteilt wird. Hier liegen Sie mit den Grünen oder der Linken richtig. Deren Fokus ist Kuchen verteilen. CDU und SPD sind so ein wenig von Beidem oder Keines richtig - das überlasse ich Ihrem Urteil. Sicherlich braucht es auch eine gute Prise von dieser Mittekraft. Am wichtigsten aber ist: Es braucht all diese Kräfte -  die, die schauen, dass der Kuchen möglichst gross ist, und die, die ihn ordentlich verteilen wollen.

Insoweit geht die Gerechtigkeitsdebatte häufig an der Sache vorbei. Es gibt nichts absolut Gerechtes oder Ungerechtes  und die einen sind nicht die Guten und die anderen die Schlechten, weil sie mehr oder weniger verteilen wollen. Es kann gute Gründe für Beides geben. Gerechtigkeit ist ohnehin immer im Zeitverlauf zu sehen. Das Deutschland von 1970 finden wir diesbezüglich heute nicht mehr machbar,  obwohl es deutliche Fortschritte gegenüber 1950 aufzeigte. Und in 2050 wird man mal 2017 ungerecht finden. Die Trendlinie ist ganz klar. Wir versuchen, die Dinge für alle immer gerechter zu machen,  so sehr der Kuchen es zulässt. Und wir werden vermutlich nicht ruhen, bis wir eine Star Trek Gesellschaft (siehe mein Blog: Auf dem Weg zur Star Trek Gesellschaft) sind. Das ist alles bestens. Es kommt nur auf die richtige Geschwindigkeit an. Verteilen wir mehr, als wir haben, führt das über kurz oder lang zu Problemen. Fordern wir aber nicht immer wieder gerechte Verteilung, passiert sie auch nicht von selbst. Man könnte das alles viel unaufgeregter diskutieren.

Dienstag, 2. Mai 2017

Die letzten Zuckungen einer Ära

Zukunft passiert an einem anderen Ort



Der Mönch in Bhutan schaute gespannt, wie Jean-Claude van Damme den Gegner zerlegte. Ich traute meinen Augen nicht. Hier oben, fernab von Hollywood, wo die Welt noch in Ordnung sein sollte, trieb der belgische Street Fighter sein Unwesen. Und der Mönch war komplett reingezogen ins Geschehen.

Andere Bhutaner schildern uns, welche Magnetwirkung das Internet auf ihre Kinder hat. Fernab in tiefen Tälern, wo lokales Brauchtum bis vor Kurzem noch unchallenged war, nimmt das Heute übernacht Einzug. Wir mögen dies traurig finden, uns diese Menschen lieber in abgeschotteten Biotopen ihre alte Lebensweise weiter pflegen sehen wollen. Aber hat das nicht etwas von Zoo? Lässt man den Betroffenen die Wahl, sie entscheiden sich grossmehrheitlich für die Moderne.

Wir sollten nicht im Ansatz traurig darüber sein. Subkultur hin oder her, von Hollywood über MTV bis zum Internet, all dies prägt uns enorm. Und es hat etwas Vereinendes, ja friedenstiftendes Potenzial. Rund um die Welt wächst eine Jugend heran, die sämtliche Grenzen überkommen kann – und dies zu einem grossen Teil tut. Meine Nichte, deutsch-spanischen Ursprungs elterlicherseits, spricht im Schweizer Dialekt mit ihrer Freundin aus der Schule, sie wurde seit ihrer frühen Kindheit von einer muslimischen Nanny betreut, und als sie mit ihren Fahrradkolleginnen bei uns einen Zwischenstopp machte, war die Welt zu Besuch, ein bunter Mix von überall. Herkunft, Religion, Bräuche sind weiter spannend, aber sie spielen keine Rolle bei der Auswahl von Freunden. All das ist nur Lametta. Was zählt, ist der Baum, der eigentliche Mensch.

Filmwechsel: Mit Spannung und Sorge schauen liberale Geister auf die Wahlerfolge von Farage und Trump. Le Pen tritt an, mag nicht siegen und Präsidentin werden, aber vermutlich +/- 40% der französischen Wähler auf sich vereinen. Trump hatte nicht viel mehr. Das Wahlsystem war einfach ein anderes. Wie dem auch sei, es scheint, als würde eine gute Hälfte der Bevölkerung ­– und manchmal etwas mehr – ein chauvinistisch geprägtes Weltbild teilen. Der Schein trügt. Nehmen wir die Wahl in den USA. Das Land hat 325 Mio. Einwohner. Gerade einmal 45% der Bevölkerung wählte und 18%, entsprechend 59 Mio. Einwohnern, wählten Donald Trump. Natürlich ist das Demokratie. Trump hat gewonnen. Aber wir müssen nicht von einem nachhaltigen mehrheitlichen Trend in der Bevölkerung nach rechts sprechen.

Was wir derzeit erleben mit, die Phänomene Trump, Farage, Le Pen, dies sind die letzten Zuckungen einer Ära, deren Zeit bald Vergangenheit ist. Wer erleben will, wie die Zukunft aussieht, dem empfehle ich, mal einen Nachmittag mit der jugendlichen Nichte oder dem Enkel zu verbringen. Schnell wird klar, dass hier etwas ganz anderes im Werden ist. Und es ist etwas Grundliberales, Weltoffenes.

Die Basis der Gestrigen ist vielleicht jetzt noch einmal gross genug, um einen Akzent zu setzen. Und der Schaden, der dabei angerichtet werden kann, ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, keinesfalls. Es lohnt sich, entschieden gegen diese rückwärtsgerichteten Tendenzen der Abgrenzung und Abschottung zu kämpfen, um Schlimmeres zu verhindern. Wir wissen aus der Vergangenheit, in welche tragischen Sackgassen Bevölkerungen laufen können, auch demokratisch legitimiert. Aber der Liberalismus ist nicht tot. Der Langfristtrend ist eindeutig. Als sich 1977 der Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen und seine damalige Ehefrau trennten, bedeutete dies noch eine gewisse gesellschaftliche Isolation. Vom seinerzeitigen Aufsichtsratschef der Bank, Hermann Josef Abs, erzählte man sich, er hätte den geschiedenen CEO nicht mehr nach Hause eingeladen. Nur zwei Jahrzehnte später, 1998, wurde Gerhard Schröder mit seiner vierten (!) Ehefrau deutscher Bundeskanzler. Und nach einem kompletten Generationensprung, im Jahr 2009, wurde Deutschland regiert von einer Frau, der Finanzminister sass im Rollstuhl, der Aussenminister war homosexuell und der Gesundheits- und spätere Wirtschaftsminister asiatischer Herkunft. Ein bunteres Bild an der Spitze eines Landes könnte man sich kaum vorstellen. Und die meisten von uns bemerken es nicht einmal. Es ist absolut normal. Und das ist gut so.

Grey Hair strikes back könnte man nun meinen, blond getönt, aber sehr grau in den Ansätzen. Trump & Co schlagen Wellen, doch die viel stärkere Unterströmung ist grundfreiheitlich. Sie definiert eine neue Art von Leben. Und die ist progressiv, eine Weiterentwicklung.

Wir erleben die letzten Zuckungen eines Lebensmodells, das ausgedient hat. Und das wissen auch viele, die derzeit reaktionär wählen. Sie klammern sich an etwas, was es nicht mehr gibt. Sie verstehen Instagram nicht und finden Tinder abscheulich. Sie haben Sorge, in der neuen digitalen Welt bestehen zu können. Aber sie haben eigentlich nichts auf der 1:1 Ebene gegen eine Person, die ein Kopftuch trägt. Sie dient nur als Projektion. Das musste die jüdische Bevölkerung einmal tragisch erleben. Und wir dürfen, wie zuvor erwähnt, nicht zulassen, dass wir je nochmals in eine solch schreckliche Sackgasse fahren, bevor wir in einer bessere, weiterentwickelte Welt eintreten. Aber genau darum muss es gehen: Eine temporäre Fehlentwicklung vermeiden. Das reicht dann zugleich auch. Die Zukunftsthemen müssen wir unabhängig davon setzen und dabei das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren. Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz – das sind Herausforderungen, die eines gesellschaftlichen Diskurses bedürfen, für die wir Rahmenbedingungen brauchen, weil die heutigen ohne Verwerfungen nicht weiter funktionieren werden (siehe auch Blog: Auf dem Weg zur 20-Stunden-Woche).


Wir müssen ausreichend Energie für die Gestaltung der Zukunft aufwenden. Wir dürfen nicht wie ein Reh paralysiert im Lichtkegel des Scheinwerfers stehen und dabei das, was unsere Gesellschaft fundamental prägen wird in den kommenden 20-30 Jahren, vernachlässigen. Nochmals: Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz – all das sind keine auf die leichte Schulter zu nehmenden Themen. Lassen wir Trump über das Wiederaufleben von Kohle und Stahl reden. Aber selbst sollten wir einen wesentlichen Teil unserer Ressourcen auf die Zukunftsgestaltung ausrichten, wie es die USA jenseits von Trump ja auch tun. Es ist einfach etwas Sand im Getriebe. Gefährlicher Sand, der muss da weg. Aber das darf uns nicht absorbieren. Die wesentlichen Themen der Zukunft sind andere.

Donnerstag, 26. Januar 2017

Trump the Trump

Der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto hat das geplante Treffen mit US-Präsident Donald Trump abgesagt. Bravo. Er hat offensichtlich verstanden, wie man mit Donald Trump umgeht.

Donald Trump versteht nur eine Sprache, die Sprache der Stärke. Er ist ein grosser Bluffer. Auch wenn er schlechte Karten hat, geht er immer auf's Ganze. Über 3'000 Gerichtsfälle säumen den bisherigen Weg von Donald Trump. Immer sagt er "ich vergleiche nicht" ("never settle"). Er droht, poltert. Und was tut er dann am Ende? Er vergleicht. Jüngstes prominentes Beispiel: der Gerichtsfall rund um seine sogenannte Universität, die keine war, siehe Artikel: "Donald ‘Never Settle’ Trump Settles Trump University Fraud Lawsuit for $25 Million"

Theresa May macht einen Fehler, sich so schnell zu Trump zu begeben. Richtig wäre, ihn erst mal kommen zu lassen. Angela "Teflon" Merkel macht das deutlich besser. Ihr imponiert ein solches Gehabe nicht. Sie weiss, am Ende ist das viel heisse Luft.

Trump hat denkbar schlechte Karten für viele seiner Vorhaben. Wenn er von "America First" spricht und darunter seine protektionistischen Massnahmen versteht, dann kann er international nur auf "lose-lose" spielen. Sanktionen wie Strafzölle auf Importe in die USA sind gar nicht umsetzbar, ohne dass amerikanische Produkte das gleiche Schicksal im Ausland erfahren. Sanktionen werden immer mit Gegensanktionen beantwortet - eine Negativspirale, bei der es nur Verlierer gibt. Trump will aber nicht verlieren. Er wird nachgeben, wenn man nur ausreichend dagegenhält. Der angebliche Tatendrang mit all den unterzeichneten Dekreten mag den Anschein erwecken, als würde er bereits Fakten schaffen. Das ist nur in der Ausnahme der Fall, vielleicht bei der ein oder anderen Pipeline. Bei den grossen Vorhaben ist mehr Schein als Sein. Seine Dekrete sind dort häufig nicht mehr als Absichtserklärungen, um seine Wählerschaft zufriedenzustellen. Wirklich passiert ist noch wenig. Man sollte sich also davon nicht beeindrucken lassen. Weiter kommen lassen.

Ich hoffe, Europa biedert sich in dieser Situation nicht an. Sonst wird die Rechnung sehr teuer. Halten wir Kurs und notfalls dagegen, wird Trump sich austoben, einknicken und mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit ohnehin in zwei Jahren schon eine Lame Duck sein, wenn der Senat teilweise und das Repräsentantenhaus neu gewählt wird und er dann im Kongress über keine Mehrheiten mehr verfügt. Vielleicht ist der ganze Protektionismus-Spuk dann schon vorbei. Welche Zeiten im übrigen, in denen ein republikanischer Präsident (so zumindest sein Label) einen Kampf gegen die Windmühlen der Globalisierung führt - ein Kampf, der einen kurzfristigen Effekt ergeben mag, langfristig die USA aber schwächen wird, weil Protektionsmus, wenn er denn überhaupt wirkt, den Druck auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Inland wegnimmt und die Notwendigkeit von immer besserer Ausbildung und stetiger Innovation - wie es die Schweiz und Deutschland seit jeher praktizieren und so trotz hoher Lohnkosten äusserst erfolgreiche Exportländer sind - verringert. 

Trump verspricht die Rückkehr von Jobs im Kohlebergbau und in der Stahlbranche. Diese Jobs kommen nicht zurück oder werden extrem teuer erkauft. Für die Wirtschaft gilt das Gleiche wie für die Politik: Den Sturm möglichst unbeschadet vorüberziehen lassen. Ob Trump es wirklich wagt, Strafzölle zu erheben, ist im übrigen alles andere als klar. Sinn macht das ja nicht und das weiss er vermutlich auch (er selbst kauft den Stahl für seine Projekte auch nicht in den USA und die roten "America First" Cappies vom Wahlkampf waren wohl "Made in China"). Er will Firmenchefs mit seinem Gebaren eher einschüchtern in der Hoffnung, dass sie im vorauseilenden Gehorsam zunächst mal Projekte der Internationalisierung stoppen. Wie gesagt, ein Kampf gegen Windmühlen. Die Welt - insbesondere die der Wirtschaft - ist im stetigen Wandel und die Jobs von gestern sind nicht die von morgen, waren sie nie und werden sie nie sein. Darum: Nicht auf diese unheilvollen Rezepte einlassen, Ruhe bewahren, Kurs halten, dabei "a nice face" machen, notfalls aber auch, z.B. über Branchenverbände, klare Kontrapunkte setzen. Die, die sich jetzt anbiedern, werden einen teuren Preis bezahlen. Trump legt so etwas als Schwäche aus. Wenn er Dich als "greatest" bezeichnet, hast Du verloren, bist einer seiner Vasallen geworden. Am besten landet man nicht auf seinem Radarschirm und sonst sollte man eher einer der "worst people" sein. Auch das geht dann schnell vorüber, wie Hillary Clinton weiss - "Crooked Hillary" noch während des Wahlkampfs, dann von ihm initiierte Standing Ovations auf einer Party am Tag seiner Amtseinführung. So schnell kann sich der Wind drehen. Er meint das alles nicht so. Er meint sowieso nichts wirklich, wenn es nicht gerade was nützt. Er ist ein Spieler und pokert, sehr wendig, aber am Ende mit schwachem Blatt. 

Aussitzen und bei Bedarf deutlich gegenhalten, wenn er austeilt - dann gelingt ein "Trump the Trump" und seine für den Welthandel und globalen Wohlstand schädlichen Vorhaben implodieren. Der Spuk ist dann bald vorbei. Aber auch nur dann.

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