Sonntag, 19. Juli 2015

Polit-Zockerei statt weitsichtiges Handeln

Als Kind haben mir meine Eltern beigebracht, wie man mit seinem Taschengeld haushaltet. Im Alter von fünf Jahren wussten meine Kindergartenfreunde und ich: Du kannst nicht mehr ausgeben, als Du einnimmst. Später, beim Studium der Wirtschaftswissenschaften, wurde alles komplizierter, aber das Resultat war das Gleiche wie zu Kindeszeiten. Irgendwann muss man seine Rechnungen bezahlen. There’s no free lunch.
Entweder hat unsere politische Klasse einen Weg gefunden, diesen fundamentalen Grundsatz des nachhaltigen Wirtschaftens ausser Kraft zu setzen oder wir werden gerade Zeugen einer gigantischen Zockerei (ein Begriff, den ironischerweise Politiker gern benutzen, um das Verhalten von Bankern zu beschreiben). Nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 warfen zunächst die USA die Gelddruckpresse an und brachten Mengen von US-Dollars in Umlauf, als gäbe es kein Morgen. Und nun zieht Europa hinterher und spült seit März 2015 die Summe von 60 Milliarden EURO pro Monat (!) über den Kauf von Staatsanleihen ins System. Selbst das Musterbeispiel für Stabilität, die Schweiz, ist vor diesem Wahnsinn nicht gänzlich gefeit. In einem hoffnungslosen Kampf versuchte die Schweizer Nationalbank, den Kurs des Schweizer Franken gegenüber den zuvorgenannten Währungen künstlich schwach zu halten – ein Spiel mit dem Feuer, denn wiederum wird mit Milliarden und Abermillarden hantiert. Anfang dieses Jahres erkannte die Nationalbank, dass sich ein solches Vorhaben nicht unbegrenzt aufrechterhalten lässt, nur um dennoch unter einem enormen politischen Druck weiter zu versuchen, einen gewissen Kurs zu halten. Ein Kampf gegen Windmühlen, am Ende nicht zu gewinnen. Ein potenziell teurer Kampf dazu.
Dass sich die öffentliche Empörung über all diese Versuche am lebenden Objekt in Grenzen hält, hat wohl damit zu tun, dass diese gigantischen Milliardensummen für den Einzelnen nicht wirklich fassbar sind. Würde man den Bürgern reinen Wein einschenken, so müsste man ihnen aufzeigen, was sie diese Programme kosten können - in einfacher, verständlicher Form. Nehmen wir z.B. die „Rettung“ von Griechenland. Es gibt nicht wenige, die glauben, dass das Resultat über kurz oder lang ein Totalabschreiber sein wird und diese Rettung so nicht funktioniert. Griechenland ist derzeit mit über 300 Milliarden Euro verschuldet. Gäbe es nun selbigen Totalabschreiber, würde dies jeden einzelnen privaten Haushalt in der Eurozone um die 2500 EURO kosten – plus das, was an weiteren Schulden durch das aktuell im Raum stehende Rettungspaket dazukommt. Die meisten dieser Familien müssen sich gut überlegen, wie sie ihre monatlichen Ausgaben bewältigen. Und hier werden 2500 EURO pro Haushalt in den Ring geworfen - ohne eine signifikante Wahrscheinlichkeit, dass dies auch den gewünschten Effekt erzielt. Wohlgemerkt, hier geht es ausschliesslich um Griechenland. Das ist aber nicht der einzige Ort, wo mit Milliardenausgaben versucht wird, Zeit zu kaufen. 
Böse Zungen würden sagen, die politische Klasse tut dies, um die nächste Wahl zu überstehen und die Probleme ihren Nachfolgern zu überlassen. Die etwas wohlwollendere Annahme ist, dass man hofft, dass ein Lichtlein von irgendwo her kommt. Von einem wirklichen Konzept aber kann nicht ernsthaft die Rede sein. Denn, dazu müsste man versuchen, die wahren Ursachen der Probleme zu verstehen. Und ein zentrales Problem ist, dass die Nachfrage nach gewissen Arbeitsleistungen nachlässt und dies insbesondere die europäischen Länder trifft, in denen das Berufsausbildungsniveau begrenzt ist. Was wir in der westlichen Welt in verschiedenen Ausprägungen sehen, ist erst der Anfang einer Entwicklung, die sich über die nächsten 10 bis 20 Jahre noch beschleunigen wird, siehe meinen Blogbeitrag zum Video "Humans Need Not Apply" (press here to view). Bereiten wir uns auf diese Herausforderungen nicht ausreichend vor, wird Griechenland nur der Anfang sein. Was sich heute schon in Südeuropa mit hoher Jugendarbeitslosigkeit abzeichnet, wird auch vor der weiteren westlichen Welt nicht Halt machen. Am Ende wird es uns alle auf diesem Planeten betreffen und fundamentale Veränderungen hervorrufen. Uns im Westen wird es aber zuerst betreffen, weil unser hohes Wohlstands- und Lohnniveau uns am angreifbarsten macht. Gelingt uns im Zuge der aktuellen technischen Revolution mit ihrem enormen Automatisierungspotenzial nicht die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Produktivkapital, schaffen wir es also nicht, ein System zu schaffen, in dem jeder Haushalt den Lebensunterhalt zum einen aus einer gewissen Arbeitsleistung mit Geist und Körper erwirtschaft, zum anderen aber auch aus Erträgen durch Miteigentum an maschinengetriebener Produktion, werden wir eine Verelendung ganzer Bevölkerungsschichten erleben. Dies zu verhindern, ist die eigentliche Herausforderung. Und sie wird nicht kleiner, wenn wir sie vor uns herschieben und mit Milliarden-Zockereien Strukturprobleme zu übertünchen versuchen.  Wie ich bereits im zuvor erwähnten Blogbeitrag schrieb, ist es höchste Zeit für die Protagonisten aus Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, über den Tellerrand hinauszuschauen, die eigentlichen Problemfelder zu erkennen und sich ihnen zu stellen. Es muss uns gelingen, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen breite Bevölkerungsschichten von der technischen Revolution profitieren. Leider braucht dies einen ausreichenden Zeithorizont – und den trauen viele unseren heutigen Politikern nicht zu. Ihre derzeitige Zockerei trägt nicht gerade dazu bei, das Bild positiv zu verändern. Das muss aufhören. Sonst drohen uns Massenarbeitslosigkeit, die Wahl von linken wie rechten Extremisten in unsere Parlamente, am Ende ggf. sogar revolutionäre Zustände. Das mag sehr pessimistisch klingen. Das bin ich nicht, was den Zustand nach dieser technischen Revolution betrifft. Wir werden weniger arbeiten, mehr Zeit für uns selbst haben (und hoffentlich etwas Sinnvolles damit anfangen :), im besseren Einklang mit der Natur leben können, dies dazu länger und gesünder. Aber, wir müssen entscheiden, wie der Weg dahin sein wird. Er kann von Vernunft und Weitsicht geprägt sein, eventuell auch verbunden mit einer gewissen Opferbereitschaft, um neue Systeme möglich zu machen. Oder er kann zunächst in eine Sackgasse führen, aus der wir am Ende wohl rauskommen, die Phase davor aber sehr schmerzhaft für uns alle wäre. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie wir diese Sackgasse vermeiden können. Es lohnt sich, die Fragen, die die derzeitige technische Revolution aufwirft und in den kommenden 10 bis 20 Jahren noch aufwerfen wird, zu identifizieren und beherzt zu adressieren. Feuerwehrübungen in Zockermanier bringen uns da nicht weiter.

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