Es kursiert so viel Schrott im Internet über Covid-19 – verquere Flachdenker, die man mal mit in eine Intensivstation zu den um Atem ringenden Patienten nehmen sollte, bis wiederum am anderen Ende des Spektrums Schreckensverbreiter, die mit der Angst der Bevölkerung spielen.
Klar ist: Covid-19 ist aussergewöhnlich gefährlich
Richtig ist aber auch: Aussergewöhnlich gefährlich für über 70-jährige
Die Impfung ist eine Altersfrage
Manchmal wird eine Impfung aber in der Hast entwickelt, wie seinerzeit bei der Schweinegrippe. Die Folge: In Schweden, wo dagegen geimpft wurde, gab es im Nachgang zur Schweinegrippe-Impfung ca. 500 Fälle von Narkolepsie, einer Art Schlafkrankheit, vornehmlich ausgebrochen unter jungen Leuten.
Ich erwähne das nicht, um von einer Covid-19-Impfung abzuraten – keinesfalls! Aber wir sollten uns in mehr wissenschaftlicher Bescheidenheit üben. Es gibt bei den in wenigen Monaten entwickelten Impfungen zu Covid-19 ein prinzipielles Restrisiko, da wir die langfristigen Folgen noch nicht verstehen können. „Langfrist“ braucht nun mal eine lange Frist. Die Zeit haben wir aber nicht. Und so bleibt eine ganz simple Risikoabwägung – Risiko Covid-19 gegen Risiko Impfung.
Wer über 70 ist, hat meines Erachtens keine Wahl. Die Zahlen geben es klar her: Impfen jetzt ist das einzig Richtige. Das Risiko aus Covid-19 ist zu gross.
Aber sollte man einer 20jährigen raten, sich impfen zu lassen? Die vorliegenden Zahlen suggerieren das nicht so eindeutig.
Im Moment ist nicht einmal gesagt, dass die Impfung auch verhindert, dass man andere ansteckt. Womöglich schützt sie nur den Geimpften. Aber selbst wenn die Ansteckung auch unterbunden würde, für wen ist man als Ungeimpfter eine Gefahr? Doch nur für Menschen, die sich aus irgendeinem Grund gegen die Impfung entschieden haben. Warum wird also ein moralischer Imperativ "pro Impfung" aufgebaut? Wir könnten doch miteinander koexistieren, die Geimpften und Ungeimpften. Die Geimpften hätten – da ja geimpft – von den Ungeimpften nichts zu befürchten.
Niemand sollte sich darum gezwungen fühlen zur Impfung. Das gebietet auch einfach die wissenschaftliche Bescheidenheit. Wenn dann doch das Unwahrscheinliche eintritt und es eine unerwünschte langfristige Nebenwirkung gibt, wäre es doch dramatisch, wenn wir Heerscharen junger Menschen völlig unnötig zur Impfung gedrängt hätten. Es muss ein freiwilliger Entscheid bleiben.
Die Lage sollte sich deutlich bessern, wenn die über 70jährigen geimpft sind.
Nehmen wir mal positiv an, die über 70jährigen sind bald geimpft (soweit sie dies wollen, und sie sollten es wollen). Wir werden weiterhin Erkrankte und auch Todesfälle verzeichnen, aber vermutlich vergleichbar mit anderen Risiken des Lebens, denen wir uns aussetzen. Und wir werden nicht mehr an Lockdowns, etc. denken.
Es dauert aber noch eine Weile, bis die besonders Gefährdeten geimpft sind. Und da muss man leider feststellen:
Wir leben derzeit mit einer gigantischen Covid-19-Dunkelziffer
Wir müssen aber klar erkennen: Zu glauben, man könne das Virus in den Griff bekommen, wenn man die Inzidenz unter 50, 25 oder 10 von 100,000 bekommt, ist aberwitzig. Wenn 8 von 10 Personen gar nicht merken, dass sie COVID-19 haben, dann ist die Rückverfolgbarkeit ein schwieriges Ziel. Diese 8 melden sich ja nirgendwo und nichts wird rückverfolgt. Das einzig mögliche Ziel ist Null. Sonst sucht sich (und findet) das Virus seinen Weg.
Wie kommt man da hin?
(Der ungerechte Ruf nach einer) Langzeitstrategie
Best Practice unter den freiheitlichen Demokratien sind wohl Neuseeland und Australien. Beide Länder haben Covid-19 derzeit im Griff. Dort wird aber nicht von 50 pro 100'000 gesprochen. Würde man nie akzeptieren. In Neuseeland und Australien wird gehandelt, wenn nur ein einziger Infizierter entdeckt wird.
Vermutlich ist das die einzig zielführende Strategie. Null Toleranz, von Anfang an.
Ich bin mir sicher, das wir das beim nächsten Mal so machen. Ob es uns gelingt (inwieweit z.B. die Insellage von Neuseeland und Australien es leichter macht = deren Fehlen für uns schwerer), wird zu sehen sein. Aber klar ist: das, was wir derzeit tun, zermürbt und führt nicht mal wirklich zu einer deutlichen Besserung.
Mit der Erfahrung von Covid-19 sind wir vermutlich beim nächsten Mal bereit dazu, drastische Massnahmen gleich zu Beginn zu akzeptieren. Aber wir müssen fair bleiben. Wer hätte das im Februar 2020 akzeptiert? Ganze Regionen dichtmachen, inklusive Büros, Schulen, Kitas, etc. – das wäre doch niemals akzeptiert worden. Wir sind jetzt schlauer.
Jetzt hilft nur noch ein Lockdown hard - oder wir akzeptieren die Entwicklung
Immerhin, die verlängerten Weihnachtsferien könnten eine Verschnaufpause bringen. Manche sahen Weihnachten ja als Risiko. Ich glaube aber, das Gegenteil ist der Fall. Den Verwandtschaftsbesuchen steht ein viel grösser, positiver Effekt gegenüber, der der geschlossenen Kitas und Schulen, der Abwesenheiten vom Büro, beides verbunden mit viel weniger Benutzung vom ÖV. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Zahlen nach Weihnachten temporär sinken, nur um dann aber, sobald das Leben wieder losgeht, wieder Fahrt aufzunehmen.
Man kann natürlich auch zum Schluss kommen, dass eine Strategie, wie Neuseeland oder Australien sie fahren, hierzulande nicht funktioniert. Wir sind nun mal keine Insel, eingebettet in ein Europa mit (allein schon für den Warenverkehr) zwingend durchlässigen Grenzen. Ich glaube dennoch, wir müssen einen Game Plan für den Lockdown hard zumindest fix und fertig in der Schublade haben. Denn das nächste Virus könnte deutlich gefährlicher sein. So ansteckend wie Covid-19 und so tödlich wie Ebola (30-90%, je nach Stamm) - wir haben unser Handeln besser gut vorbereitet. Mag zynisch klingen, aber in dem Sinne wäre Covid-19 zumindest ein heilsamer Augenöffer gewesen. Wir haben da nachzubessern, für den Fall der Fälle.
Im Fazit...
...und zuletzt in eigener Sache
Ich fragte mich immer wieder, wie es sein kann, dass so viel Intransparenz bestehen bleibt, wenn doch einige relevante Daten offiziell vorliegen.
Mein Selbstbewusstsein, über Covid-19 zu schreiben, hat aber über die Zeit merklich zugenommen. Wenn ich sehe, dass ich im April 2020 aus den offiziellen Zahlen zum Ausbruch in New York City eine Letalität von um die 0,28% errechnet habe (wo manche Zeitungen ganz komische Wert von 5, 10 und mehr Prozent publizierten), wenn die Heinsberg-Studie 0,37% ermittelte, die WHO in ihrer Metastudie später 0,27% veröffentlicht, dann lag ich offenbar nicht so falsch. Wenn ich im Oktober 2020 prognostizierte, dass der Wellenbrecher-Lockdown in Deutschland nichts bringen wird, weil man Kitas, Schulen, Büros und den ÖV (leider!) nicht auslassen kann – auch dies auf Basis von offiziellen Daten, diesmal über Infektionsherde –, dann komme ich zum Schluss, dass man klarer sehen kann, wenn man will. Ich habe nachgeschaut und gerechnet, klassischer Dreisatz – sonst nichts.
Warum fällt dies aber vielen Meinungsmachern so schwer? Schlamperei? Ich bin kein kategorischer Medienkritiker, ganz im Gegenteil. Die vierte Gewalt ist ein essentieller Bestandteil unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaften. Aber in Sachen Covid-19 gibt es offenbar zu heisse Eisen. Wie oft wurde über die Ergebnisse der WHO-Metastudie geschrieben, wie oft darauf hingewiesen, dass man nicht die getesteten, bekannten Infizierten (die ja nur ein Bruchteil aller Infizierten sind) ins Verhältnis zu den Todesfällen setzen kann? Wie oft wurde darauf hingewiesen, dass die Dunkelziffer gigantisch sein muss? Wie oft hat man die enorm unterschiedliche Gefahr von Covid-19 je nach Alter erwähnt? Wie genau hat man hingeschaut, um Infektionsherde zu verstehen? Man wird hier über die Bücher gehen müssen. Das war keine saubere Berichterstattung. Es wurde zu oft unzureichend und irreführend informiert.
Covid-19 ist aber ein zu ernstes Thema, als dass wir im Nebel stochern sollten Es braucht mehr Transparenz. Und mehr Transparenz ist offensichtlich möglich.