Zukunft passiert an einem anderen Ort
Der Mönch
in Bhutan schaute gespannt, wie Jean-Claude van Damme den Gegner zerlegte. Ich
traute meinen Augen nicht. Hier oben, fernab von Hollywood, wo die Welt noch in
Ordnung sein sollte, trieb der belgische Street Fighter sein Unwesen. Und der
Mönch war komplett reingezogen ins Geschehen.
Andere Bhutaner
schildern uns, welche Magnetwirkung das Internet auf ihre Kinder hat. Fernab in
tiefen Tälern, wo lokales Brauchtum bis vor Kurzem noch unchallenged war, nimmt das Heute übernacht Einzug. Wir mögen dies traurig
finden, uns diese Menschen lieber in abgeschotteten Biotopen ihre alte Lebensweise
weiter pflegen sehen wollen. Aber hat das nicht etwas von Zoo? Lässt man den
Betroffenen die Wahl, sie entscheiden sich grossmehrheitlich für die Moderne.
Wir sollten
nicht im Ansatz traurig darüber sein. Subkultur hin oder her, von Hollywood
über MTV bis zum Internet, all dies prägt uns enorm. Und es hat etwas
Vereinendes, ja friedenstiftendes Potenzial. Rund um die Welt wächst eine
Jugend heran, die sämtliche Grenzen überkommen kann – und dies zu einem grossen
Teil tut. Meine Nichte, deutsch-spanischen Ursprungs elterlicherseits, spricht
im Schweizer Dialekt mit ihrer Freundin aus der Schule, sie wurde seit ihrer
frühen Kindheit von einer muslimischen Nanny betreut, und als sie mit ihren
Fahrradkolleginnen bei uns einen Zwischenstopp machte, war die Welt zu Besuch,
ein bunter Mix von überall. Herkunft, Religion, Bräuche sind weiter spannend,
aber sie spielen keine Rolle bei der Auswahl von Freunden. All das ist nur Lametta.
Was zählt, ist der Baum, der eigentliche Mensch.
Filmwechsel:
Mit Spannung und Sorge schauen liberale Geister auf die Wahlerfolge von Farage
und Trump. Le Pen tritt an, mag nicht siegen und Präsidentin werden, aber vermutlich +/- 40% der französischen Wähler auf sich vereinen. Trump hatte nicht
viel mehr. Das Wahlsystem war einfach ein anderes. Wie dem auch sei, es
scheint, als würde eine gute Hälfte der Bevölkerung – und manchmal etwas mehr
– ein chauvinistisch geprägtes Weltbild teilen. Der Schein trügt. Nehmen wir
die Wahl in den USA. Das Land hat 325 Mio. Einwohner. Gerade einmal 45% der
Bevölkerung wählte und 18%, entsprechend 59 Mio. Einwohnern, wählten Donald
Trump. Natürlich ist das Demokratie. Trump hat gewonnen. Aber wir müssen nicht
von einem nachhaltigen mehrheitlichen Trend in der Bevölkerung nach rechts
sprechen.
Was wir
derzeit erleben mit, die Phänomene Trump, Farage, Le Pen, dies sind die letzten
Zuckungen einer Ära, deren Zeit bald Vergangenheit ist. Wer erleben will, wie
die Zukunft aussieht, dem empfehle ich, mal einen Nachmittag mit der jugendlichen
Nichte oder dem Enkel zu verbringen. Schnell wird klar, dass hier etwas ganz anderes
im Werden ist. Und es ist etwas Grundliberales, Weltoffenes.
Die Basis
der Gestrigen ist vielleicht jetzt noch einmal gross genug, um einen Akzent zu
setzen. Und der Schaden, der dabei angerichtet werden kann, ist nicht auf die
leichte Schulter zu nehmen, keinesfalls. Es lohnt sich, entschieden gegen diese
rückwärtsgerichteten Tendenzen der Abgrenzung und Abschottung zu kämpfen, um
Schlimmeres zu verhindern. Wir wissen aus der Vergangenheit, in welche
tragischen Sackgassen Bevölkerungen laufen können, auch demokratisch
legitimiert. Aber der Liberalismus ist nicht tot. Der Langfristtrend ist
eindeutig. Als sich 1977 der Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen und seine damalige
Ehefrau trennten, bedeutete dies noch eine gewisse gesellschaftliche Isolation.
Vom seinerzeitigen Aufsichtsratschef der Bank, Hermann Josef Abs, erzählte man
sich, er hätte den geschiedenen CEO nicht mehr nach Hause eingeladen. Nur zwei
Jahrzehnte später, 1998, wurde Gerhard Schröder mit seiner vierten (!) Ehefrau
deutscher Bundeskanzler. Und nach einem kompletten Generationensprung, im Jahr
2009, wurde Deutschland regiert von einer Frau, der Finanzminister sass im Rollstuhl, der Aussenminister war homosexuell und der Gesundheits- und
spätere Wirtschaftsminister asiatischer Herkunft. Ein bunteres Bild an der
Spitze eines Landes könnte man sich kaum vorstellen. Und die meisten von uns
bemerken es nicht einmal. Es ist absolut normal. Und das ist gut so.
Grey Hair strikes back könnte man nun meinen, blond getönt,
aber sehr grau in den Ansätzen. Trump & Co schlagen Wellen, doch die viel
stärkere Unterströmung ist grundfreiheitlich. Sie definiert eine neue Art von
Leben. Und die ist progressiv, eine Weiterentwicklung.
Wir erleben
die letzten Zuckungen eines Lebensmodells, das ausgedient hat. Und das wissen
auch viele, die derzeit reaktionär wählen. Sie klammern sich an etwas, was es
nicht mehr gibt. Sie verstehen Instagram nicht und finden Tinder abscheulich.
Sie haben Sorge, in der neuen digitalen Welt bestehen zu können. Aber sie haben
eigentlich nichts auf der 1:1 Ebene gegen eine Person, die ein Kopftuch trägt. Sie
dient nur als Projektion. Das musste die jüdische Bevölkerung einmal tragisch
erleben. Und wir dürfen, wie zuvor erwähnt, nicht zulassen, dass wir je
nochmals in eine solch schreckliche Sackgasse fahren, bevor wir in einer bessere,
weiterentwickelte Welt eintreten. Aber genau darum muss es gehen: Eine
temporäre Fehlentwicklung vermeiden. Das reicht dann zugleich auch. Die Zukunftsthemen
müssen wir unabhängig davon setzen und dabei das grosse Ganze nicht aus den
Augen verlieren. Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz – das
sind Herausforderungen, die eines gesellschaftlichen Diskurses bedürfen, für
die wir Rahmenbedingungen brauchen, weil die heutigen ohne Verwerfungen nicht
weiter funktionieren werden (siehe auch Blog: Auf dem Weg zur 20-Stunden-Woche).
Wir müssen
ausreichend Energie für die Gestaltung der Zukunft aufwenden. Wir dürfen nicht
wie ein Reh paralysiert im Lichtkegel des Scheinwerfers stehen und dabei das,
was unsere Gesellschaft fundamental prägen wird in den kommenden 20-30 Jahren, vernachlässigen.
Nochmals: Digitalisierung, Automatisierung, künstliche Intelligenz – all das
sind keine auf die leichte Schulter zu nehmenden Themen. Lassen wir Trump über das
Wiederaufleben von Kohle und Stahl reden. Aber selbst sollten wir einen
wesentlichen Teil unserer Ressourcen auf die Zukunftsgestaltung ausrichten, wie
es die USA jenseits von Trump ja auch tun. Es ist einfach etwas Sand im
Getriebe. Gefährlicher Sand, der muss da weg. Aber das darf uns nicht
absorbieren. Die wesentlichen Themen der Zukunft sind andere.