Mittwoch, 28. Oktober 2020

Der einzige Lockdown, der funktioniert

Schwerkranke in Turnhallen. Umfunktionierte Kühlhallen, um die vielen Toten zu lagern. Ärzte, die die Triage anwenden müssen. Niemand kann das wollen. Wenn wir es irgendwie können, müssen wir dieses Szenario abwenden. Es gibt Möglichkeiten dazu. Aber das sind nicht die, die derzeit diskutiert werden. So eindrucksvoll die Politik in den ersten Wochen der Pandemie handelte, so verwirrt erscheint sie heute.


Noch immer werden Massnahmen vorgeschlagen, von denen man glaubt, mit ihnen bei der Bevölkerung punkten zu können, anstatt solche, die wirklich einen grossen Hebel haben. Man kritisiert das Reisen, selbst wenn der Reisende nur in eine einsame Hütte in den Bergen oder ein Strandhäuschen fährt. Und gleichzeitig pendeln täglich Millionen im öffentlichen Verkehr von A nach B, nahezu alle mit unbrauchbaren Masken, die vor Aerosolen nicht wirklich schützen, da sie nicht dem Standard FFP2 (besser FFP3) entsprechen. Man steht viel zu eng Schulter an Schulter in Bussen und Bahnen, nur um dann zur Arbeit zu gehen, wo viele jobbedingt interagieren müssen mit anderen. Home-Office geht für den Bürohengst (und wird dort hoffentlich flächendeckend gemacht). Für den Kassierer im Supermarkt, den Friseur, die Sanitärmeisterin geht es nicht. In den meisten Berufen ist menschliche Interaktion unvermeidbar.

Man spricht von einem Lockdown light, einem Slowdown. Zur besagten Arbeit soll man gemäss diesen Konzepten weiter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Kitas und Schulen sollen offen bleiben. Das ist zu halbherzig.


Und wenn es dann nicht funktioniert - was es offensichtlich nicht tun wird -, haut man noch mehr auf die drauf, die eigentlich schon jetzt Kontakte begrenzt halten, macht ihnen ein schlechtes Gewissen für einen Restaurantbesuch. Natürlich ist es birnenweich, eine Party in irgendeinem schlecht belüfteten Club zu feiern. Aber die weitaus meisten von uns haben ihre Gefahrenherde woanders.


Wir müssen einfach akzeptieren: das Virus interessiert nicht, ob wir aus wichtigem oder weniger wichtigen Grund interagieren. Und so bleibt es genauso birnenweich, ohne FFP2/3-Maske in eine vollgepackte Tram zur Stosszeit zu steigen. 

Es gibt nicht genug FFP2/3-Masken. Noch immer nicht. Dabei hat man bis dato z.B. in Deutschland eindrucksvolle € 1.4 Billionen ausgegeben oder Garantien dgl. ausgesprochen. Legt man die aktuellen Schätzungen zu den COVID-19-Todesraten zugrunde (irgendwo zwischen 0.2 und 0.5 %), würden in Deutschland damit durch Verhindern der kompletten Durchinfektion ca. 250,000 COVID-19 Tote verhindert. Ca. 10,000 Tote haben wir schon, also muss man die 1.4 Billionen durch 240,000 teilen. Man kommt auf 5.8 Millionen € pro verhinderten Toten. 
5.8 Millionen € pro verhinderten Toten Stand heute - eine Menge Geld. Und je weniger es geling, 240,000 zu retten, je mehr man ausgibt, desto höher wird der Wert noch.


Ich sage nicht, dass es nicht das Geld wert ist, Menschenleben zu retten. Aber was hat man damit Sinnvolles gemacht? Warum haben wir nicht alle mittlerweile reichlich Bestand an FFP2/3-Masken? Ein Bruchteil der 1.4 Billionen sollte für die Umrüstung von geeigneten Fabriken ausreichen, um FFP2/3-Masken zu produzieren. Und man hatte ein halbes Jahr Zeit. Das ist reichlich Zeit.


Das sind diese Inkonsistenzen, die mein Vertrauen in die handelnden Personen schwinden lassen. Immer wieder wird gesagt „wir wissen noch zu wenig“. Vermutlich will man damit Angst generieren, von der man sich erhofft, dass die Leute vorsichtig sind. Damit erreicht man aber nicht die, die die Regeln missachten, dort kommt diese Nachricht nicht an. Man erzählt es immer wieder den Gleichen, die völlig kopfscheu werden darüber.

Ich sehe nur einen Weg, wie wir die nächsten Monate überstehen können: Wir definieren zwei Phasen:

Phase I: 

Für die unter 65-jährigen Leben nach dem schwedischen Modell (aber: "Tübinger" Schutz der Älteren, das hatte Schweden nicht im Griff), AHA-Regeln einhalten, keine Indoor-Grossveranstaltungen, sonst aber das normale Leben, inklusive Reisen (aber keine Strand- oder Skiparties), Restaurant, Fussballstadion, etc.
Es wird normal gearbeitet und zur Schule gegangen. 
Solch eine Phase kann durchaus mehrere Monate dauern, bis dann Phase II ansteht. Die gute Nachricht: Phase II ist kurz und danach folgt wieder Phase I.

Phase II: 

1-2 Wochen bleibt jeder zu Hause. Ausnahmen werden extrem streng gewährt. Ärzte und Pflegepersonal müssen natürlich weiter arbeiten, die Polizei muss Plünderungen und anderen Unfug verhindern, Wasser/Energie/Strom müssen zur Verfügung stehen. Aber das ist es dann bald auch einmal. Jeder sonst bleibt zu Hause. Der Müll wird für die Zeit gesammelt. Und in den Supermarkt geht man vorher und kauft alles für die Zeit ein. Da gibt es halt mal nichts Frisches für 1-2 Wochen. 

Raus darf man schon, aber nur mit Abstand von 2 m zu jeder anderen Person, und nicht, um sich zu treffen, sondern für Sport, Spaziergänge, solche Dinge. 
Es wird nicht gearbeitet. Wir gehen nicht zur Schule, nicht in die Kita. 

Das sind 1-2 Ferienwochen, die man abzieht von den Urlaubstagen. Das ist der Beitrag, den jeder leisten muss.
Will man die Zeit in einer Ferienwohnung irgendwo am Strand oder in den Bergen verbringen, ist das völlig o. k. Man muss einfach eine Adresse registrieren, an der man sich dann die gesamte Woche aufhält.
Die Pointe: es ist während dieser 1-2 Wochen wirklich nahezu unmöglich, jemanden anzustecken. Natürlich, das Virus kann innerhalb des gleichen Haushaltes weitergereicht werden. Aber ca. die Hälfte aller Haushalte sind Single-Haushalte, in ca. einem weiteren Viertel wohnen nur zwei Personen. Da ist nicht so viel mit anstecken.

 

Es braucht keinen Lockdown light, mit dem der derzeitige Wahnsinn sich über Wochen, wenn nicht Monate hinzieht. Es braucht einen Lockdown hard, dafür kurz und knackig. Er wird die Zahlen nicht auf null bringen, aber so massiv runter, dass man danach wieder eine rechte Zeit normal leben kann, ausser Indoor-Grossveranstaltungen. Und immer AHA, dies konsequent mit FFP2/3-Masken.

 

Wir dürfen uns nichts vormachen, das Virus wird sich irgendwann wieder ausgebreitet haben. Das lässt sich aber in keinem Szenario verhindern. COVID-19 wird Teil unseres Lebens bleiben, bis es Mittel dagegen gibt. Das mag schnell gehen, aber bis diese uns alle erreichen, dauert es noch eine ganze Weile.

 

Mit dem oben vorgeschlagenen Modell - weitestgehend normal leben und zwischendurch immer wieder 1-2 Wochen vorgeschriebener Urlaub - wäre die Situation für eine rechte Zeit durchhaltbar. Wir würden diesen Urlaub immer dann nehmen müssen, wenn die Lage wieder bedrohlich würde. 

 

Ganz wichtig: fast keine Ausnahmen. Nahezu niemand geht zur Arbeit. Nahezu niemand fährt im öffentlichen Verkehr. Niemand trifft in diesen 1-2 Wochen auch nur einen einzigen anderen Haushalt. Und die Strafen für das Nichteinhalten sind drakonisch, gern auch gehaltsabhängig.

 

Es wäre dann bald soweit. Schaut man auf die aktuellen Zahlen, ein Lockdown hard steht wohl an. Ich würde ihn wahrscheinlich in einem Ferienhaus irgendwo an einem schönen Ort verbringen. Ausgedehnte Spaziergänge, schöne Sachen kochen, ein paar Serien reinpfeifen - so schlimm ist das nicht. Wenn man danach wieder eine Weile normal leben kann, ist es das doch allemal wert.

 

Was mürbe macht, ist dieses dauerlauwarme Vorgehen. Und jeder hat ein anderes Zielpublikum, hackt auf jemand anderen rum. Nein, wir machen das besser gemeinsam. Wir machen alle gelegentlich Urlaub. Immer mal wieder, alle gleichzeitig.

 

Vielleicht kommt man in den kommenden Tagen zu entsprechenden Sinnen. Der Zeitpunkt wäre gut. 

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